Text by Arno Brandlhuber and Alexander Koch
Im politischen Selbstverständnis Europas und insbesondere Deutschlands ist Kultur als Leitmedium gesellschaftlicher Selbstbestimmung historisch verankert. Heute, in unseren neoliberal gewendeten Demokratien, lässt sich indes der emanzipatorische Charakter kultureller Produktion für die Selbstbestimmung demokratischer Gemeinwesen immer schwerer erkennen.
Währenddessen verhalten wir KulturproduzentInnen uns gegenüber der Kulturpolitik nur reaktiv. Die politische Administration setzt die Parameter – wir kritisieren sie. Wir müssen uns fragen, ob das die richtige Haltung für eine Teilnahme an der kulturpolitischen Diskussion ist.
Wir gehen noch immer vom Paradigma repräsentativer Politik aus. Politischen Institutionen wird dabei die Legitimation zugesprochen, bestimmte Anordnungen unserer eigenen Praxen im sozialen Raum öffentlich zu vertreten und über deren Rahmenbedingungen zu entscheiden. Tatsächlich sehen wir uns von der kulturpolitischen Administration aber kaum mehr repräsentiert. Der Grund ist ein systemischer: Kulturpolitik wurde Schlüsselressorts wie Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik untergeordnet und dient deren Repräsentationsbedürfnissen weit mehr, als dass sie sich der Repräsentation einer inhaltlich bestimmbaren kulturellen Agenda und der Interessen und Bedürfnisse von KulturproduzentInnen verpflichtet. Zugleich zeigt sich heute die Hoffnung, kulturelle Praxen von ihrer politischen Repräsentation und Administration zu entkoppeln und in künstlerischer Selbstorganisation zu verankern, als Illusion. Es fehlen belastbare Aussagen, wie zentralen Problemen zu begegnen ist: ökonomischen Zwängen, institutioneller Vereinnahmung und in Berlin insbesondere der Privatisierung urbanen Raums, die KulturproduzentInnen den Zugang zu städtischem Lebens- und Arbeitsraum abschneidet. Die Wahl zwischen einem Denken in Antragsformularen einerseits und einem Verzicht auf die Förderwürdigkeit zeitgenössischer Kulturproduktion als eines öffentlichen Guts anderseits ist keine Wahl.
Das Paradigma repräsentativer Kulturpolitik, samt des reaktiven Widerstands gegen sie, scheint perspektivlos. Wir schlagen einen Strategiewechsel vor: Fehlen der Kulturpolitik Kompetenzen oder Mittel, um unsere Interessen und unser soziales Selbstverständnis angemessen zu vertreten, muss ihr die politische Legitimität inhaltlich aberkannt werden. Hat sie ihre repräsentative Rolle verspielt, fällt diese an die KulturproduzentInnen zurück. Weiß sie die gesellschaftliche Produktivität unabhängiger kultureller Praxen nicht einzuschätzen und durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern und zu fördern, lässt sich daraus - auch zu ihrem eigenen Schutz - kein politischer Gestaltungsauftrag mehr ableiten. Was ihr bleibt sind allein administrative Funktionen. Deren soziale Kriterien haben andere zu bestimmen. Das Ende der Simulation kulturpolitischer Repräsentanz und informeller Alternativen dazu offeriert den ProduzentInnen dabei eine neue politische Perspektive: Statt diese im Einfluss auf kulturpolitische Lobbys oder in der Adaption politischer Themen wie Institutionskritik, Gender oder Migration zu suchen, liegt sie in der Selbstermächtigung, die Parameter für die Anordnung der eigenen Praxen und Interessen im sozialen Raum inhaltlich selbst zu bestimmen und diese Parameter als Forderungen an die politische Verwaltung weiterzureichen.
Die inhaltliche Bestimmung kulturpolitischer Parameter ist ab jetzt unsere Sache. Ausgangspunkt sind unsere eigenen kulturellen Praxen und unser Wissen darum, unter welchen Bedingungen sie Aussicht auf gesellschaftliche Produktivität haben und unter welchen nicht. Unsere Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation können ihrerseits nur dann legitim sein, wenn wir KulturproduzentInnen einen neuen Gesellschaftsvertrag eingehen und verbindlich sagen, wie wir unsere soziale Rolle und deren urbane, ökonomische und institutionelle Einbettung inhaltlich fassen wollen. Bleibt offizielle Politik kulturelle Nachhaltigkeitskonzepte schuldig, müssen wir sie liefern. Verkennt sie, dass kulturelle Praxen an der kritischen Ausgestaltung eines sozialen Gemeinwesens und damit am demokratischen Verständigungsprozess teilnehmen, müssen wir unsere Rolle bei diesem Prozess erneut benennen und aktiv einnehmen. Sich vom Prinzip kulturpolitischer Repräsentation zu trennen, erfordert und erlaubt, unserem Handeln ein eigenes politisches Bekenntnis zu geben.
Das Auseinanderfallen von politischer Repräsentanz und gesellschaftlicher Produktion verschärft die neoliberale Entfremdung. Die gegenwärtige Zunahme sozialer Gewalt ist nur eine drastische Folge des deregulativen Aufrufs zur individuellen Selbstbestimmung. Es scheint, als entspräche der vorgeschlagene Strategiewechsel der neoliberalen Entstaatlichung sozialer Verantwortung. Unser Vorschlag zielt aber auf eine Umwendung des Neoliberalismus – der Gewinne privatisieren, Kosten vergesellschaften und soziale Kooperation aufkündigen will – in einen Postliberalismus, der die Aufforderung zu eigenverantwortlichem Handeln annimmt, diesmal jedoch, um Kultur als ein Leitmedium kooperativer gesellschaftlicher Selbstbestimmung neu zu fassen. Dazu muss ein Kern unserer Forderungen sein, dem Tauschwert Geld andere soziale Währungen zur Seite zu stellen, Aufgaben sozialer Repräsentation in unsere Arbeit aufzunehmen und dabei den politischen Wert kooperativer kultureller Arbeit neu zu errechnen. Kulturelle Produktion und Verantwortung gilt es, als öffentliches Gut strukturell zu stützen. Gegen politische wie privatwirtschaftliche Indienstnahme der Kulturinstitutionen ist auf deren inhaltlicher Autonomie zu bestehen. Den symbolischen und ökonomischen Mehrwert kultureller Produktion müssen wir stärker vergesellschaften.
Kultur ist eine Primärebene gesellschaftlicher Selbstwahrnehmung. Auf dieser emanzipatorischen Qualität, zu der es gehört, soziale Prozesse, Verwerfungen und Handlungsoptionen früh und komplex zu erfassen, fußt unser politischer Anspruch als verantwortliche Akteure des Gemeinwohls.
Die Politisierung künstlerischer Praxen kann hier neu zu sich finden. Kuratorische Praxen sind weiter zu fassen und können eine neue Rolle einnehmen: u.a. können KuratorInnen die Interessen solcher KünstlerInnen, die am öffentlichen politischen Gespräch nicht selbst teilnehmen wollen, bündeln und an andere Akteure und namentlich an die Kulturverwaltung vermitteln. Dabei können sie selbst zu einem neu politisierten Repräsentationsverständnis beitragen.
Lasst uns die inhaltliche Gestaltung von Kulturpolitik übernehmen.
Die kommende Übernahme. Für eine Entkoppelung von kulturpolitischer Definitionsmacht und Kulturadministration.
Text by Arno Brandlhuber and Alexander Koch
Im politischen Selbstverständnis Europas und insbesondere Deutschlands ist Kultur als Leitmedium gesellschaftlicher Selbstbestimmung historisch verankert. Heute, in unseren neoliberal gewendeten Demokratien, lässt sich indes der emanzipatorische Charakter kultureller Produktion für die Selbstbestimmung demokratischer Gemeinwesen immer schwerer erkennen.
Währenddessen verhalten wir KulturproduzentInnen uns gegenüber der Kulturpolitik nur reaktiv. Die politische Administration setzt die Parameter – wir kritisieren sie. Wir müssen uns fragen, ob das die richtige Haltung für eine Teilnahme an der kulturpolitischen Diskussion ist.
Wir gehen noch immer vom Paradigma repräsentativer Politik aus. Politischen Institutionen wird dabei die Legitimation zugesprochen, bestimmte Anordnungen unserer eigenen Praxen im sozialen Raum öffentlich zu vertreten und über deren Rahmenbedingungen zu entscheiden. Tatsächlich sehen wir uns von der kulturpolitischen Administration aber kaum mehr repräsentiert. Der Grund ist ein systemischer: Kulturpolitik wurde Schlüsselressorts wie Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik untergeordnet und dient deren Repräsentationsbedürfnissen weit mehr, als dass sie sich der Repräsentation einer inhaltlich bestimmbaren kulturellen Agenda und der Interessen und Bedürfnisse von KulturproduzentInnen verpflichtet. Zugleich zeigt sich heute die Hoffnung, kulturelle Praxen von ihrer politischen Repräsentation und Administration zu entkoppeln und in künstlerischer Selbstorganisation zu verankern, als Illusion. Es fehlen belastbare Aussagen, wie zentralen Problemen zu begegnen ist: ökonomischen Zwängen, institutioneller Vereinnahmung und in Berlin insbesondere der Privatisierung urbanen Raums, die KulturproduzentInnen den Zugang zu städtischem Lebens- und Arbeitsraum abschneidet. Die Wahl zwischen einem Denken in Antragsformularen einerseits und einem Verzicht auf die Förderwürdigkeit zeitgenössischer Kulturproduktion als eines öffentlichen Guts anderseits ist keine Wahl.
Das Paradigma repräsentativer Kulturpolitik, samt des reaktiven Widerstands gegen sie, scheint perspektivlos. Wir schlagen einen Strategiewechsel vor: Fehlen der Kulturpolitik Kompetenzen oder Mittel, um unsere Interessen und unser soziales Selbstverständnis angemessen zu vertreten, muss ihr die politische Legitimität inhaltlich aberkannt werden. Hat sie ihre repräsentative Rolle verspielt, fällt diese an die KulturproduzentInnen zurück. Weiß sie die gesellschaftliche Produktivität unabhängiger kultureller Praxen nicht einzuschätzen und durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern und zu fördern, lässt sich daraus - auch zu ihrem eigenen Schutz - kein politischer Gestaltungsauftrag mehr ableiten. Was ihr bleibt sind allein administrative Funktionen. Deren soziale Kriterien haben andere zu bestimmen. Das Ende der Simulation kulturpolitischer Repräsentanz und informeller Alternativen dazu offeriert den ProduzentInnen dabei eine neue politische Perspektive: Statt diese im Einfluss auf kulturpolitische Lobbys oder in der Adaption politischer Themen wie Institutionskritik, Gender oder Migration zu suchen, liegt sie in der Selbstermächtigung, die Parameter für die Anordnung der eigenen Praxen und Interessen im sozialen Raum inhaltlich selbst zu bestimmen und diese Parameter als Forderungen an die politische Verwaltung weiterzureichen.
Die inhaltliche Bestimmung kulturpolitischer Parameter ist ab jetzt unsere Sache. Ausgangspunkt sind unsere eigenen kulturellen Praxen und unser Wissen darum, unter welchen Bedingungen sie Aussicht auf gesellschaftliche Produktivität haben und unter welchen nicht. Unsere Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation können ihrerseits nur dann legitim sein, wenn wir KulturproduzentInnen einen neuen Gesellschaftsvertrag eingehen und verbindlich sagen, wie wir unsere soziale Rolle und deren urbane, ökonomische und institutionelle Einbettung inhaltlich fassen wollen. Bleibt offizielle Politik kulturelle Nachhaltigkeitskonzepte schuldig, müssen wir sie liefern. Verkennt sie, dass kulturelle Praxen an der kritischen Ausgestaltung eines sozialen Gemeinwesens und damit am demokratischen Verständigungsprozess teilnehmen, müssen wir unsere Rolle bei diesem Prozess erneut benennen und aktiv einnehmen. Sich vom Prinzip kulturpolitischer Repräsentation zu trennen, erfordert und erlaubt, unserem Handeln ein eigenes politisches Bekenntnis zu geben.
Das Auseinanderfallen von politischer Repräsentanz und gesellschaftlicher Produktion verschärft die neoliberale Entfremdung. Die gegenwärtige Zunahme sozialer Gewalt ist nur eine drastische Folge des deregulativen Aufrufs zur individuellen Selbstbestimmung. Es scheint, als entspräche der vorgeschlagene Strategiewechsel der neoliberalen Entstaatlichung sozialer Verantwortung. Unser Vorschlag zielt aber auf eine Umwendung des Neoliberalismus – der Gewinne privatisieren, Kosten vergesellschaften und soziale Kooperation aufkündigen will – in einen Postliberalismus, der die Aufforderung zu eigenverantwortlichem Handeln annimmt, diesmal jedoch, um Kultur als ein Leitmedium kooperativer gesellschaftlicher Selbstbestimmung neu zu fassen. Dazu muss ein Kern unserer Forderungen sein, dem Tauschwert Geld andere soziale Währungen zur Seite zu stellen, Aufgaben sozialer Repräsentation in unsere Arbeit aufzunehmen und dabei den politischen Wert kooperativer kultureller Arbeit neu zu errechnen. Kulturelle Produktion und Verantwortung gilt es, als öffentliches Gut strukturell zu stützen. Gegen politische wie privatwirtschaftliche Indienstnahme der Kulturinstitutionen ist auf deren inhaltlicher Autonomie zu bestehen. Den symbolischen und ökonomischen Mehrwert kultureller Produktion müssen wir stärker vergesellschaften.
Kultur ist eine Primärebene gesellschaftlicher Selbstwahrnehmung. Auf dieser emanzipatorischen Qualität, zu der es gehört, soziale Prozesse, Verwerfungen und Handlungsoptionen früh und komplex zu erfassen, fußt unser politischer Anspruch als verantwortliche Akteure des Gemeinwohls.
Die Politisierung künstlerischer Praxen kann hier neu zu sich finden. Kuratorische Praxen sind weiter zu fassen und können eine neue Rolle einnehmen: u.a. können KuratorInnen die Interessen solcher KünstlerInnen, die am öffentlichen politischen Gespräch nicht selbst teilnehmen wollen, bündeln und an andere Akteure und namentlich an die Kulturverwaltung vermitteln. Dabei können sie selbst zu einem neu politisierten Repräsentationsverständnis beitragen.
Lasst uns die inhaltliche Gestaltung von Kulturpolitik übernehmen.
- Embroiled to the Max / Volle Kraft Verwicklung
- FRANZ ERHARD WALTHERS‘ PARTICIPATORIAL MINIMALISM
- Abstraction in Self-Defense. Santiago Sierra’s cruel solidarity
- Catfish Instead of Buddha. Michael E. Smith’s Materialism of Basic Needs
- Option Lots. Eine Recherche von Brandlhuber+
- dirt that catches the sun. CHRIS MARTIN’S SOcIAL HORIZON Of A sPIRITUAL ABSTRACTION
- The Coming Takeover For a decoupling of the power to define cultural policy and cultural administration
- Zehn Schöne Inseln. Die Binnengrenzen des Kunstfeldes. Ein Beschreibungsmodell
- opting Out of ART. A THEORETICAL FOUNDATION
Text by Arno Brandlhuber and Alexander Koch
Im politischen Selbstverständnis Europas und insbesondere Deutschlands ist Kultur als Leitmedium gesellschaftlicher Selbstbestimmung historisch verankert. Heute, in unseren neoliberal gewendeten Demokratien, lässt sich indes der emanzipatorische Charakter kultureller Produktion für die Selbstbestimmung demokratischer Gemeinwesen immer schwerer erkennen.
Währenddessen verhalten wir KulturproduzentInnen uns gegenüber der Kulturpolitik nur reaktiv. Die politische Administration setzt die Parameter – wir kritisieren sie. Wir müssen uns fragen, ob das die richtige Haltung für eine Teilnahme an der kulturpolitischen Diskussion ist.
Wir gehen noch immer vom Paradigma repräsentativer Politik aus. Politischen Institutionen wird dabei die Legitimation zugesprochen, bestimmte Anordnungen unserer eigenen Praxen im sozialen Raum öffentlich zu vertreten und über deren Rahmenbedingungen zu entscheiden. Tatsächlich sehen wir uns von der kulturpolitischen Administration aber kaum mehr repräsentiert. Der Grund ist ein systemischer: Kulturpolitik wurde Schlüsselressorts wie Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik untergeordnet und dient deren Repräsentationsbedürfnissen weit mehr, als dass sie sich der Repräsentation einer inhaltlich bestimmbaren kulturellen Agenda und der Interessen und Bedürfnisse von KulturproduzentInnen verpflichtet. Zugleich zeigt sich heute die Hoffnung, kulturelle Praxen von ihrer politischen Repräsentation und Administration zu entkoppeln und in künstlerischer Selbstorganisation zu verankern, als Illusion. Es fehlen belastbare Aussagen, wie zentralen Problemen zu begegnen ist: ökonomischen Zwängen, institutioneller Vereinnahmung und in Berlin insbesondere der Privatisierung urbanen Raums, die KulturproduzentInnen den Zugang zu städtischem Lebens- und Arbeitsraum abschneidet. Die Wahl zwischen einem Denken in Antragsformularen einerseits und einem Verzicht auf die Förderwürdigkeit zeitgenössischer Kulturproduktion als eines öffentlichen Guts anderseits ist keine Wahl.
Das Paradigma repräsentativer Kulturpolitik, samt des reaktiven Widerstands gegen sie, scheint perspektivlos. Wir schlagen einen Strategiewechsel vor: Fehlen der Kulturpolitik Kompetenzen oder Mittel, um unsere Interessen und unser soziales Selbstverständnis angemessen zu vertreten, muss ihr die politische Legitimität inhaltlich aberkannt werden. Hat sie ihre repräsentative Rolle verspielt, fällt diese an die KulturproduzentInnen zurück. Weiß sie die gesellschaftliche Produktivität unabhängiger kultureller Praxen nicht einzuschätzen und durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern und zu fördern, lässt sich daraus - auch zu ihrem eigenen Schutz - kein politischer Gestaltungsauftrag mehr ableiten. Was ihr bleibt sind allein administrative Funktionen. Deren soziale Kriterien haben andere zu bestimmen. Das Ende der Simulation kulturpolitischer Repräsentanz und informeller Alternativen dazu offeriert den ProduzentInnen dabei eine neue politische Perspektive: Statt diese im Einfluss auf kulturpolitische Lobbys oder in der Adaption politischer Themen wie Institutionskritik, Gender oder Migration zu suchen, liegt sie in der Selbstermächtigung, die Parameter für die Anordnung der eigenen Praxen und Interessen im sozialen Raum inhaltlich selbst zu bestimmen und diese Parameter als Forderungen an die politische Verwaltung weiterzureichen.
Die inhaltliche Bestimmung kulturpolitischer Parameter ist ab jetzt unsere Sache. Ausgangspunkt sind unsere eigenen kulturellen Praxen und unser Wissen darum, unter welchen Bedingungen sie Aussicht auf gesellschaftliche Produktivität haben und unter welchen nicht. Unsere Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation können ihrerseits nur dann legitim sein, wenn wir KulturproduzentInnen einen neuen Gesellschaftsvertrag eingehen und verbindlich sagen, wie wir unsere soziale Rolle und deren urbane, ökonomische und institutionelle Einbettung inhaltlich fassen wollen. Bleibt offizielle Politik kulturelle Nachhaltigkeitskonzepte schuldig, müssen wir sie liefern. Verkennt sie, dass kulturelle Praxen an der kritischen Ausgestaltung eines sozialen Gemeinwesens und damit am demokratischen Verständigungsprozess teilnehmen, müssen wir unsere Rolle bei diesem Prozess erneut benennen und aktiv einnehmen. Sich vom Prinzip kulturpolitischer Repräsentation zu trennen, erfordert und erlaubt, unserem Handeln ein eigenes politisches Bekenntnis zu geben.
Das Auseinanderfallen von politischer Repräsentanz und gesellschaftlicher Produktion verschärft die neoliberale Entfremdung. Die gegenwärtige Zunahme sozialer Gewalt ist nur eine drastische Folge des deregulativen Aufrufs zur individuellen Selbstbestimmung. Es scheint, als entspräche der vorgeschlagene Strategiewechsel der neoliberalen Entstaatlichung sozialer Verantwortung. Unser Vorschlag zielt aber auf eine Umwendung des Neoliberalismus – der Gewinne privatisieren, Kosten vergesellschaften und soziale Kooperation aufkündigen will – in einen Postliberalismus, der die Aufforderung zu eigenverantwortlichem Handeln annimmt, diesmal jedoch, um Kultur als ein Leitmedium kooperativer gesellschaftlicher Selbstbestimmung neu zu fassen. Dazu muss ein Kern unserer Forderungen sein, dem Tauschwert Geld andere soziale Währungen zur Seite zu stellen, Aufgaben sozialer Repräsentation in unsere Arbeit aufzunehmen und dabei den politischen Wert kooperativer kultureller Arbeit neu zu errechnen. Kulturelle Produktion und Verantwortung gilt es, als öffentliches Gut strukturell zu stützen. Gegen politische wie privatwirtschaftliche Indienstnahme der Kulturinstitutionen ist auf deren inhaltlicher Autonomie zu bestehen. Den symbolischen und ökonomischen Mehrwert kultureller Produktion müssen wir stärker vergesellschaften.
Kultur ist eine Primärebene gesellschaftlicher Selbstwahrnehmung. Auf dieser emanzipatorischen Qualität, zu der es gehört, soziale Prozesse, Verwerfungen und Handlungsoptionen früh und komplex zu erfassen, fußt unser politischer Anspruch als verantwortliche Akteure des Gemeinwohls.
Die Politisierung künstlerischer Praxen kann hier neu zu sich finden. Kuratorische Praxen sind weiter zu fassen und können eine neue Rolle einnehmen: u.a. können KuratorInnen die Interessen solcher KünstlerInnen, die am öffentlichen politischen Gespräch nicht selbst teilnehmen wollen, bündeln und an andere Akteure und namentlich an die Kulturverwaltung vermitteln. Dabei können sie selbst zu einem neu politisierten Repräsentationsverständnis beitragen.
Lasst uns die inhaltliche Gestaltung von Kulturpolitik übernehmen.
Die kommende Übernahme. Für eine Entkoppelung von kulturpolitischer Definitionsmacht und Kulturadministration.
Text by Arno Brandlhuber and Alexander Koch
Im politischen Selbstverständnis Europas und insbesondere Deutschlands ist Kultur als Leitmedium gesellschaftlicher Selbstbestimmung historisch verankert. Heute, in unseren neoliberal gewendeten Demokratien, lässt sich indes der emanzipatorische Charakter kultureller Produktion für die Selbstbestimmung demokratischer Gemeinwesen immer schwerer erkennen.
Währenddessen verhalten wir KulturproduzentInnen uns gegenüber der Kulturpolitik nur reaktiv. Die politische Administration setzt die Parameter – wir kritisieren sie. Wir müssen uns fragen, ob das die richtige Haltung für eine Teilnahme an der kulturpolitischen Diskussion ist.
Wir gehen noch immer vom Paradigma repräsentativer Politik aus. Politischen Institutionen wird dabei die Legitimation zugesprochen, bestimmte Anordnungen unserer eigenen Praxen im sozialen Raum öffentlich zu vertreten und über deren Rahmenbedingungen zu entscheiden. Tatsächlich sehen wir uns von der kulturpolitischen Administration aber kaum mehr repräsentiert. Der Grund ist ein systemischer: Kulturpolitik wurde Schlüsselressorts wie Wirtschafts-, Sozial- und Außenpolitik untergeordnet und dient deren Repräsentationsbedürfnissen weit mehr, als dass sie sich der Repräsentation einer inhaltlich bestimmbaren kulturellen Agenda und der Interessen und Bedürfnisse von KulturproduzentInnen verpflichtet. Zugleich zeigt sich heute die Hoffnung, kulturelle Praxen von ihrer politischen Repräsentation und Administration zu entkoppeln und in künstlerischer Selbstorganisation zu verankern, als Illusion. Es fehlen belastbare Aussagen, wie zentralen Problemen zu begegnen ist: ökonomischen Zwängen, institutioneller Vereinnahmung und in Berlin insbesondere der Privatisierung urbanen Raums, die KulturproduzentInnen den Zugang zu städtischem Lebens- und Arbeitsraum abschneidet. Die Wahl zwischen einem Denken in Antragsformularen einerseits und einem Verzicht auf die Förderwürdigkeit zeitgenössischer Kulturproduktion als eines öffentlichen Guts anderseits ist keine Wahl.
Das Paradigma repräsentativer Kulturpolitik, samt des reaktiven Widerstands gegen sie, scheint perspektivlos. Wir schlagen einen Strategiewechsel vor: Fehlen der Kulturpolitik Kompetenzen oder Mittel, um unsere Interessen und unser soziales Selbstverständnis angemessen zu vertreten, muss ihr die politische Legitimität inhaltlich aberkannt werden. Hat sie ihre repräsentative Rolle verspielt, fällt diese an die KulturproduzentInnen zurück. Weiß sie die gesellschaftliche Produktivität unabhängiger kultureller Praxen nicht einzuschätzen und durch geeignete Rahmenbedingungen zu sichern und zu fördern, lässt sich daraus - auch zu ihrem eigenen Schutz - kein politischer Gestaltungsauftrag mehr ableiten. Was ihr bleibt sind allein administrative Funktionen. Deren soziale Kriterien haben andere zu bestimmen. Das Ende der Simulation kulturpolitischer Repräsentanz und informeller Alternativen dazu offeriert den ProduzentInnen dabei eine neue politische Perspektive: Statt diese im Einfluss auf kulturpolitische Lobbys oder in der Adaption politischer Themen wie Institutionskritik, Gender oder Migration zu suchen, liegt sie in der Selbstermächtigung, die Parameter für die Anordnung der eigenen Praxen und Interessen im sozialen Raum inhaltlich selbst zu bestimmen und diese Parameter als Forderungen an die politische Verwaltung weiterzureichen.
Die inhaltliche Bestimmung kulturpolitischer Parameter ist ab jetzt unsere Sache. Ausgangspunkt sind unsere eigenen kulturellen Praxen und unser Wissen darum, unter welchen Bedingungen sie Aussicht auf gesellschaftliche Produktivität haben und unter welchen nicht. Unsere Selbstermächtigung und Selbstrepräsentation können ihrerseits nur dann legitim sein, wenn wir KulturproduzentInnen einen neuen Gesellschaftsvertrag eingehen und verbindlich sagen, wie wir unsere soziale Rolle und deren urbane, ökonomische und institutionelle Einbettung inhaltlich fassen wollen. Bleibt offizielle Politik kulturelle Nachhaltigkeitskonzepte schuldig, müssen wir sie liefern. Verkennt sie, dass kulturelle Praxen an der kritischen Ausgestaltung eines sozialen Gemeinwesens und damit am demokratischen Verständigungsprozess teilnehmen, müssen wir unsere Rolle bei diesem Prozess erneut benennen und aktiv einnehmen. Sich vom Prinzip kulturpolitischer Repräsentation zu trennen, erfordert und erlaubt, unserem Handeln ein eigenes politisches Bekenntnis zu geben.
Das Auseinanderfallen von politischer Repräsentanz und gesellschaftlicher Produktion verschärft die neoliberale Entfremdung. Die gegenwärtige Zunahme sozialer Gewalt ist nur eine drastische Folge des deregulativen Aufrufs zur individuellen Selbstbestimmung. Es scheint, als entspräche der vorgeschlagene Strategiewechsel der neoliberalen Entstaatlichung sozialer Verantwortung. Unser Vorschlag zielt aber auf eine Umwendung des Neoliberalismus – der Gewinne privatisieren, Kosten vergesellschaften und soziale Kooperation aufkündigen will – in einen Postliberalismus, der die Aufforderung zu eigenverantwortlichem Handeln annimmt, diesmal jedoch, um Kultur als ein Leitmedium kooperativer gesellschaftlicher Selbstbestimmung neu zu fassen. Dazu muss ein Kern unserer Forderungen sein, dem Tauschwert Geld andere soziale Währungen zur Seite zu stellen, Aufgaben sozialer Repräsentation in unsere Arbeit aufzunehmen und dabei den politischen Wert kooperativer kultureller Arbeit neu zu errechnen. Kulturelle Produktion und Verantwortung gilt es, als öffentliches Gut strukturell zu stützen. Gegen politische wie privatwirtschaftliche Indienstnahme der Kulturinstitutionen ist auf deren inhaltlicher Autonomie zu bestehen. Den symbolischen und ökonomischen Mehrwert kultureller Produktion müssen wir stärker vergesellschaften.
Kultur ist eine Primärebene gesellschaftlicher Selbstwahrnehmung. Auf dieser emanzipatorischen Qualität, zu der es gehört, soziale Prozesse, Verwerfungen und Handlungsoptionen früh und komplex zu erfassen, fußt unser politischer Anspruch als verantwortliche Akteure des Gemeinwohls.
Die Politisierung künstlerischer Praxen kann hier neu zu sich finden. Kuratorische Praxen sind weiter zu fassen und können eine neue Rolle einnehmen: u.a. können KuratorInnen die Interessen solcher KünstlerInnen, die am öffentlichen politischen Gespräch nicht selbst teilnehmen wollen, bündeln und an andere Akteure und namentlich an die Kulturverwaltung vermitteln. Dabei können sie selbst zu einem neu politisierten Repräsentationsverständnis beitragen.
Lasst uns die inhaltliche Gestaltung von Kulturpolitik übernehmen.