text: Alexander Koch
translation: Gerrit Jackson
photos: Ladislav Zajac
For over three decades, Marco A. Castillo (founder of Los Carpinteros) has addressed the failure of Cuba’s socialist utopias while emphasizing that history goes on, that change remains possible, that a political transformation of the country is still conceivable. “But that’s over now,” he says in conversation, speaking from Mexico, where he has lived since Havana has grown too dangerous. “The regime responds with such force,” he argues, “that there’s no room for political engagement anymore. Nor is there room for critique. All we can do right now is try to get some people out of prison. They’re arresting creative artists and protesters by the dozen.”
Marco A. Castillo (Gründer Los Carpinteros) hat das Scheitern der sozialistischen Utopien Kubas über 30 Jahre lang thematisiert und gleichzeitig unterstrichen, dass die Geschichte weitergeht, Veränderung möglich bleibt, ein politischer Umbau des Landes noch immer gedacht werden kann. „Aber das ist jetzt vorbei“, sagt er im Gespräch, das er von Mexico aus führt, seinem neuen Wohnort, seit es in Havanna zu gefährlich geworden ist. „Das Regime regiert mit solcher Härte“, schildert er, „dass sich politisch nichts mehr machen lässt. Es gibt auch keinen Platz mehr für Kritik. Aktuell können wir nur versuchen, einige Leute aus dem Gefängnis zu bekommen. Sie inhaftieren reihenweise Kulturschaffende und Demonstrierende.“
Is there a message he’s trying to convey with his exhibition at KOW? “Yes. Leftist intellectuals in Berlin, like their peers in Havana, are still prone to romanticizing the Cuban situation. And the international press doesn’t do adequate reporting. There’s not a spark of utopian socialism left in the country. It’s turned into a brutal dictatorship. But many people still refuse to say that out loud, in part because then they’d have to agree with those who’ve always been opposed to the Cuban way: that this is in reality a corrupt system, run by a bloated bureaucracy that forces people to their knees, arbitrarily imprisoning them if necessary.”
In the 1960s and 1970s, Castro was still able to enlist artists and intellectuals in the project of building a revolutionary middle class. The modern and progressive design of the period became legendary—and constitutes the point of departure for Castillo’s exhibition at the gallery. “But all of that has been perverted and deformed,” he says. “There was no work on a middle-class project. In today’s perspective, we can see that it was nothing but propaganda and betrayal. And now the frustration is so immense that we hardly know which words to use to express it. In Cuba—and in other Latin American countries, too—that leaves a leftist position pretty speechless.”
Castillo’s most recent works take the deformation of concepts and ideas that are or once were regarded as progressive and enact it on a literal level. Sculptural picture-objects—three-dimensional “sketchbooks” and “posters”—are made of numerous layers, with shapes and letters cut out of them such that one term constitutes the foreground and a second term the background, undergoing conversion into one another in the space between them. A shared continuum links “Chavez” and “Caviar,” “Antifa” and “Kuklux,” but also “Power” and “Black.”
For another series of low reliefs, Castillo has cut geometric drawings into stacked layers of paper, their crisp lines and immaculate designs reflecting historic endeavors to formulate a modernist and utopian aesthetic and reprising traditions from Cuban and Latin American graphic art of the 1960s and 1970s. The word “Dictatorship,” in this register, is transmuted into a virtually indecipherable abstract-ornamental typographic composition, a play of forms that recalls the various euphemisms serving to designate today’s totalitarian systems.
In “Generación,” a film running to just under seven minutes, Marco A. Castillo unequivocally sums up the point he is trying to get across in his exhibition: Well-dressed and handsome people—middle-class creatives and intellectuals, it appears—flock to a building that exemplifies the best of Cuban modernism for a relaxed celebration. With decorations and cinematography in the style of the 1970s, the film glorifies and idealizes the gathering, only to have it end in the utterly unexpected deaths of the revelers. Artists, photographers, writers, architects, and curators drawn from contemporary Cuba’s intellectual scene appear in the roles of the protagonists, engendering a temporal ellipsis between the utopian past and a frustrating present that has no future.
Ob er mit seiner Ausstellung bei KOW eine Botschaft verbinde? „Ja. In Berlin neigen linke Intellektuelle genauso wie in Havanna dazu, die kubanische Situation weiterhin zu romantisieren. Die internationale Presse berichtet auch nicht angemessen. Da ist kein sozialistischer utopischer Funke mehr in dem Land. Es ist eine brutale Diktatur geworden. Aber viele weigern sich noch, das auszusprechen. Auch, weil sie dann dasselbe sagen müssten wie diejenigen, die immer schon gegen den kubanischen Weg waren: Dass es in Wahrheit ein korruptes System einer feisten Bürokratie ist, die das Volk in die Knie zwingt und wenn nötig willkürlich einsperrt.“
In den sechziger und siebziger Jahren konnte Castro noch Künstler und Intellektuelle mobilisieren, am Projekt einer revolutionären Mittelklasse mitzuarbeiten. Das moderne, fortschrittliche kubanische Design dieser Ära etwa wurde legendär – und ist auch der Ausgangspunkt für Castillos Ausstellung in der Galerie. „Aber das alles hat sich ins Gegenteil verkehrt und deformiert“, sagt er. „Es wurde an keinem Projekt der Mittelklasse gearbeitet. Das stellt sich von heute aus betrachtet alles als Propaganda und Verrat heraus. Und nun ist die Frustration so riesig, dass man kaum mehr weiß, welche Begriffe man dafür verwenden soll. Nicht nur in Kuba, auch andernorts in Lateinamerika macht das eine linke Position ziemlich sprachlos.“
Die Deformation von Begriffen und Konzepten, die als progressiv gelten oder galten, vollzieht sich in den neuesten Arbeiten von Castillo buchstäblich. Skulpturale Bildobjekte – dreidimensionale „Sketchbooks“ und „Poster“ – sind aus zahlreichen Schichten aufgebaut, aus denen Formen und Buchstaben geschnitten wurden, so dass ein Begriff den Vordergrund bildet und ein anderer den Hintergrund, während beide im Raum zwischen ihnen eine Konvertierung durchlaufen. So verbindet „Chavez“ und „Caviar“ ein gemeinsames Kontinuum, ebenso „Antifa“ und „Kuklux“, aber auch „Power“ und „Black“.
In einer anderen Reihe von Flachreliefs schneidet Castillo in einen Stapel von Papierschichten geometrische Zeichnungen, die mit ihren scharfen Linien und perfekten Designs ein historisches Bemühen um modernistische und utopische Ästhetik widerspiegeln und an Traditionen der kubanischen und lateinamerikanischen Grafik der 60er und 70er Jahre anzuknüpfen. Aus dem Wort „Dictatorship“ wird dabei ein kaum entzifferbares abstrakt-ornamentales Typografiebild, dessen Formenspiel an die verschiedenen Euphemismen erinnert, die zur Bezeichnung zeitgenössischer totalitärer Systeme verwendet werden.
In seinem knapp siebenminütigen Film „Generación“ macht Marco A. Castillo noch einmal unmissverständlich den Punkt, um denen es ihm bei dieser Ausstellung geht: In einem beispielhaften Gebäude der kubanischen Moderne kommen wohlbekleidete, gutaussehende Menschen – augenscheinlich Kreative und Intellektuelle aus der Mittelschicht – zu einem gemütlichen Fest zusammen. Im Stil der 70er Jahre ausgestattet und gedreht, überhöht und idealisiert der Film die Zusammenkunft, die jedoch völlig überraschend im kollektiven Exitus der Gemeinschaft endet. Die Protagonisten werden gespielt von Künstlerinnen, Fotografinnen, Schriftstellern, Architekten und Kuratorinnen der heutigen kubanischen Intellektuellenszene; so entsteht eine zeitliche Ellipse zwischen der utopischen Vergangenheit und einer frustrierenden Gegenwart, die keine Zukunft hat.
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