On Fear and Education, Disenchantment and Justice, Protest and Disunion in Saxony / Germany
, Mario Pfeifer
Dec 1, 2016 – Apr 15, 2017
It’s all not so simple, unfortunately. Right-wing, centrist, left-wing populism, the post-factual era, disunited and manipulated societies—it feels like an apocalyptic downward spiral, but apocalyptic moods are unhelpful. Disunion is unhelpful. The fact is: What agitates some today fills others with serenity and courage. Where emerging forms of government trigger some people’s flight instincts, others believe they are represented at long last. Where elaborate critique runs out of oxygen, unheard voices swell to a new volume. But it may well be that in the end everyone will feel like they have been taken for a ride. A sharp swing to the right? Leftist resistance? The rationality of the center? Caught up in old political schemata and systems of belief, people across the mental spectrums ignite lines of conflict within the public spirit that awaken demons of antagonism.
Leider ist das alles nicht so einfach. Rechts-, Mitte-, Links-Populismus, post-faktisches Zeitalter, gespaltene und manipulierte Gesellschaften – das fühlt sich an wie eine apokalyptische Abwärtsspirale, doch apokalyptische Gefühlslagen helfen nicht. Spaltung hilft nicht. Fakt ist: Was heute manche erschüttert, macht andere heiter und mutig. Wo aufkommende Regierungsformen bei den einen Fluchtinstinkte wecken, sehen sich andere endlich repräsentiert. Wo elaborierter Kritik der Sauerstoff ausgeht, kommen ungehörte Stimmen zu neuem Volumen. Doch verarscht fühlen sich am Ende vielleicht alle. Rechtsruck? Linker Widerstand? Rationalität der Mitte? Verfangen in alten Politik- und Glaubenssystemen, zünden Leute quer durch die mentalen Spektren Konfliktlinien im Gemeinsinn an, die antagonistische Dämonen beschwören.
Mario Pfeifer chose a different path. He conducted interviews with nine people, giving them the room to speak. Each is asked the same questions, each is allotted the same media space and time. The speakers remain anonymous, their functions unspecified, but the viewer quickly gathers: most of them are from Saxony, they helped found Pegida, they are a trade unionist or the mayor of a small town, a concerned businessman or a critic of Islam, a psychoanalyst or a conflict researcher. All of them earnest people who share their understandable thoughts on German society today with the camera, telling stories of their disenchantments and insights, their involvements and their hopes for society. No agitation, no populism, and instead people who speak intently and calmly.
What to make of what they say? You won’t know until you listen. Reasoned political opinion—not always easy to come by—is a genuine attainment of focused attention. To watch means to follow the speaker’s thoughts and think for yourself. For nine hours, face to face. No Like buttons, no Twitter shortcuts for arguments that take time, no rapidly tuning in and out again as you zap through (un)congenial worldviews and opinion templates. Mario Pfeifer constructs a democratic space out of the time of unabridged speech and the succession of perspectives that, in this instance, defy alignment with a simple polar antagonism.
Mario Pfeifer ist einen anderen Weg gegangen. Er hat neun Personen in Interviews den Raum gegeben zu sprechen. Jeder bekommt die gleichen Fragen gestellt, jeder hat denselben medialen Raum und die gleiche Zeit. Die Personen bleiben anonym, ihre Funktionen werden nicht angegeben, doch schnell wird klar: Die da sprechen, kommen weitgehend aus Sachsen, haben Pegida mitbegründet, sind Gewerkschaftler oder Bürgermeisterin einer Kleinstadt, besorgter Unternehmer oder Islamkritikerin, Psychoanalytiker oder Konfliktforscher. Alles ernsthafte Menschen, die der Kamera ihre nachvollziehbaren Gedanken über die deutsche Gegenwartsgesellschaft mitteilen, Erzählungen über ihre Enttäuschungen und Einsichten, über ihr Engagement und ihre sozialen Hoffnungen. Keine Agitation, kein Populismus, stattdessen Menschen, die konzentriert und in Ruhe reden.
Wie man das findet, was da gesagt wird? Zeigt sich beim Zuhören. Die politische Meinung – nicht immer leicht – ist eine Eigenleistung der Aufmerksamkeit. Betrachten heißt Mitdenken. Neun Stunden lang, face to face. Keine Like-Buttons, keine Twitter-Abkürzung für Ausführungen, die ihre Zeit brauchen, kein schneller Ein- und Ausstieg im Zapping durch (un-)sympathische Weltbilder und Meinungsvorlagen. Mario Pfeifer schafft einen demokratischen Raum aus der Zeit unverkürzter Rede und dem Nacheinander von Perspektiven, die sich hier nicht so einfach polarisieren lassen. Sein Film ist ein Beitrag zur politischen Bildung und Meinungsfindung angesichts sich verschärfender Sprachlosigkeit und Abschottung in einem Moment, da Realitätsbehauptungen brutaler und Dialoge immer irrationaler werden.
His film is a contribution to political education and the search for consensus in the face of intensifying speechlessness and isolation, at a time of increasingly brutal contentions over reality and more and more irrational dialogues. Pfeifer’s project would seem to draw conclusions from the observation that the aspirations to greater solidarity behind leftist politics and artistic critique are manifestly losing traction and at worst even fuel rather than check processes of social disunion. Because leftists and artists tend to ignore, or fail to take seriously, what is going on beyond the islands on which their lives are lived and their beliefs widely shared? Because they champion openness and plurality of opinion but never spell out what that would mean? Because we have lost sight of the fact that a polity must listen to itself in order to work through the full extent of its internal differences and understand its potential fracture lines?
"On Fear and Education, Disenchantment and Justice, Protest and Disunion in Saxony / Germany" was commissioned by Kirsa Geiser for Mario Pfeifer’s solo exhibition at the GALERIE FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST Leipzig, which closes on January 8. Pfeifer’s film will be on view indefinitely at KOW. The complete material may also be found on the projet's WEBSITE.
Text: Alexander Koch / Translation: Gerrit Jackson / Photos: Ladislav Zajac
Wie man das findet, was da gesagt wird? Zeigt sich beim Zuhören. Die politische Meinung – nicht immer leicht – ist eine Eigenleistung der Aufmerksamkeit. Betrachten heißt Mitdenken. Neun Stunden lang, face to face. Keine Like-Buttons, keine Twitter-Abkürzung für Ausführungen, die ihre Zeit brauchen, kein schneller Ein- und Ausstieg im Zapping durch (un-)sympathische Weltbilder und Meinungsvorlagen. Mario Pfeifer schafft einen demokratischen Raum aus der Zeit unverkürzter Rede und dem Nacheinander von Perspektiven, die sich hier nicht so einfach polarisieren lassen. Sein Film ist ein Beitrag zur politischen Bildung und Meinungsfindung angesichts sich verschärfender Sprachlosigkeit und Abschottung in einem Moment, da Realitätsbehauptungen brutaler und Dialoge immer irrationaler werden.
Pfeifers Projekt scheint Konsequenzen aus der Beobachtung zu ziehen, dass die Bestrebungen linker Politik und künstlerischer Kritik augenscheinlich immer weniger solidarische Landgewinne zu vermelden haben und schlimmstenfalls gesellschaftliche Aufspaltungsprozesse beschleunigen statt bremsen. Weil sie jenseits der eigenen Lebens- und Glaubensinseln wenig wahr- und ernst nehmen? Weil sie Offenheit und Meinungspluralität behaupten, aber nicht ausbuchstabieren? Weil wir verlernt haben, dass ein Gemeinwesen sich selber zuhören muss, um das ganze Ausmaß seiner inneren Differenzen zu verarbeiten und seine möglichen Brüche zu verstehen?
"Über Angst und Bildung, Enttäuschung und Gerechtigkeit, Protest und Spaltung in Sachsen / Deutschland" ist im Auftrag von Kirsa Geiser für Mario Pfeifers Einzelausstellung in der GALERIE FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST in Leipzig entstanden, die am 8. Januar zu Ende geht. Bei KOW zeigen wir Pfeifers Film für unbestimmte Zeit. Das vollständige Filmmaterial findet sich außerdem auf der PROJEKT-WEBSITE.
Text: Alexander Koch / Fotos: Ladislav Zajac, KOW
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